8. - 23. Juni 2024

Philip Nürnberger, Sven-Julien Kanclersky, Nike Kühn, Martin Pöll, Sarah Schmidtlein, Lea Schürmann, Christian Holl: Erste Ruhe

Design: Fabian Schneiker

Die Gruppenausstellung „Erste Ruhe“, kuratiert von Fabian Schneiker und Mia Kleier, versammelt Arbeiten der Künstler:innen Philip Nürnberger, Sven-Julien Kanclersky, Nike Kühn, Martin Pöll, Sarah Schmidtlein, Lea Schürmann, und Christian Holl.
Auf die ursprüngliche Funktion der Malerkapelle als Begräbniskapelle eingehend, reagieren die Künstler:innen auf die auratischen, funktionalen, rituellen, und architektonischen Eigenschaften des Raumes.

So hat Philip Nürnberger eine installative Arbeit konzipiert, die sich eben nicht mit der Angst vor dem Tod beschäftigt, sondern ganz im Gegenteil mit der ebenso angebrachten Angst vor einem unter Posthumanist:innen und Tech-Bros angestrebtem ewigen Leben durch die Möglichkeiten der Digitalisierung: Aus dem Versprechen wird mitunter auch eine FOMO-befeuerte Androhung.
Wichtige Elemente sind dabei die Auseinandersetzung mit Prozessen wie Gamification und Disziplinen wie Game Theory, die im aktuellen sozioökonimschen Klima genutzt werden, um die Finanzialisierung auch der letzten Nische des Privaten voranzutreiben.

Ebenfalls installativ, aber inhaltlich viel zurückgenommener, agiert Sven Kanclersky mit Fly Away/Walking in the Sunshine, einer kleinen, vermeintlichen Dixi-Toiletten-Tür, die nirgendwohin führt: Durch die Unmöglichkeit ihrer Durchschreitung wird der Raum dahinter zum unerreichbaren Sehnsuchtsort, der piktografisch auf der Tür selbst in Reliefform angedeutet wird. Die Hochglanzoptik der Tür konterkariert das sonst alles andere als glamouröse Image mobiler Sanitärsysteme. Farbe und Motiv unterstreichen dabei die Naivität nicht nur des verwehrten Eskapismus, sondern lassen auch genug Raum, um mit eigen Vorstellungen eines idealen Ortes (eines Himmels?) aufgeladen zu werden.

Nike Kühn nun befasst sich nicht mit unserer individuellen Sterblichkeit, noch nicht einmal mit der Sterblichkeit der gesamten Menschheit, sondern mit dem Aussterben an sich. Wenn das 6. große Massenaussterben, durch das die biologische Vielfalt momentan weltweit mit solcher Geschwindigkeit abnimmt, dass sich die Welt in einhundert Jahren kaum modellieren, geschweige denn vorstellen lässt, das Leben auf der Erde dezimiert hat, was bleibt dann übrig? Auf das Überleben welcher Arten kann man hoffen oder gar setzen? Kühn deutet mit ihrer Arbeit nicht in eine definitive Zukunft, sondern verweist auf die Vergangenheit: Beim letzten Mal zählte zu den Siegern vor allem eine Pflanze, die Farne. Zwar erinnern Kühns Objekte – bedruckte Kissen, die zum Verweilen einladen – auch an Leichentücher und den menschlichen Thorax, doch man darf an dieser Stelle nicht zu sehr anthropomorphisieren: Bei diesem Massenaussterben geht es nicht um uns, sondern um ein ganzes Erdzeitalter.

Martin Pölls zurückhaltende, durch ihre Fragmentarisierung an ein Puzzle erinnernde Arbeit schlägt in eine ganz andere Kerbe, obwohl das Motiv Kühns sehr ähnelt. Hart und dunkel, mit Schwarz als Farbe der Trauer, verrät der Titel von „Ode an eine Seerose“, dass wir hier etwas besingen oder zelebrieren, das unter Umständen sogar vom vorliegenden Objekt portraitiert wird: eine Pflanze, vielleicht verstorben, nicht als schlichter Vertreter einer Art abgebildet, sondern durch die poetische Reduktion ironischerweise zum Individuum gemacht. Der Prozess des Werdens und Vergehens bei der Pflanze wurde angehalten. Die Zeit steht für sie still, die Ewigkeit findet ihre Abbildung.

Wir bleiben in der Pflanzenwelt – zum Teil, und ganz, und doch nur größtenteils: Lea Schürmanns und Christian Holls Interesse fokussiert sich auf Landschaften. Der Titel Terrain verweist auf einen Landschaftsbegriff, der neben ökologischen, geographischen, kosmischen und klimatischen u.A. auch zivilisatorische Aspekte und ihre komplexen Verschränkungen miteinander beschreibt. In zeitgenössischen Friedwäldern zeichnet sich eine Sehnsucht ab, den Friedhof nicht mehr als Fast-Nicht-Ort, als an die Zivilisation gekoppelten, aber aus dem Alltag ausgeschlossenen Raum zu behandeln, sondern stattdessen geliebte Körper wieder Teil der Landschaft werden zu lassen. Zu dieser Entwicklung gehört auch die Einsicht, dass der menschliche Körper keine außerordentliche Rolle im Universum spielt – er ist nicht inkompatibel mit den Regeln, nach denen leblose organische Masse chemisch und bakteriell umgewandelt wird. Vielmehr ist er schon immer fester Bestandteil der Prozesse und Wandlungen seiner Umgebung.

Zuletzt zeigt Sarah Schmidtlein eine leichtherzige, durch ihre bloße Existenz als Objekt etwas fassungslos machende Gedenktafel auf Rädern: Mobile Trauer für unterwegs, ideal für den eiligen Menschen von heute, schnell umfunktionier- und verschiebbar im Falle spontaner Tragödien. Nach der Finanzialisierung des ewigen Lebens bei Philip Nürnberger ist es nur logisch, dass die Kommodifizierung der Trauer und des Gedenkens sich auch als dystopische Option anbietet. Das ist ja noch nicht einmal etwas Neues: Trauer als performativer, öffentlicher Act ist eine Realität unserer Medienlandschaft. Im Vergleich zur strengen visuellen Dramaturgie, die Trauernde für den Abschied von geliebten Menschen erlernen und durchhalten müssen, ist Schmidtleins Arbeit durch ihre aufdringliche physische Präsenz, ihre nicht weg-klickbare Realität, fast schon eher ein Schritt in die richtige Richtung.

Vernissage: Freitag, 7. Juni, 18 Uhr
Öffnungszeiten: Sa + So, 15-18 Uhr


3. - 19. Mai 2024

Nicola Feuerhahn & Erasmus Leinweber: The room is never empty, the past is yet to come

Poster: Nicola Feuerhahn

In einem seiner Spätwerke, dem Timaios, begründete der griechische Philosoph Platon das Konzept der Weltseele. Nach dem dort erzählten Mythos entstand die Weltseele zusammen mit dem Kosmos aus reiner Notwendigkeit heraus: Anders konnte der Weltschöpfer aus dem Chaos der bereits vorhandenen Materie keine Ordnung schaffen. Die Erschaffung und Beseelung des Kosmos ist hier im Grunde eine sehr akribische Aufräumaktion, eine Aneinanderreihung physikalischer Phänomene und chemischer Prozesse, die letztlich dem Universum selbst Vernunft und Bewegung einpflanzt. Und diese Prinzipien, so die Idee, kommen in den Individuen, die den Kosmos bewohnen, bruchstückhaft wieder zum Ausdruck.


Bild: Erasmus Leinweber

Erasmus Leinweber ist fasziniert von der Idee der Beseeltheit der Dinge, und den Analogien von Makro- und Mikrokosmos. In seinen Malereien sucht er nach diesen inneren Welten, Seelen, und in der Malerkapelle, die früher für Begräbnisse genutzt wurde, sucht er spezifisch nach den Seelen, die sich nach dem Ableben des mit ihnen verbundenen Körpers eventuell neue Reviere erschlossen haben. Vorbildhaft für seine Farbwahl war dabei der nahegelegene Kaiserdom.

Bild: Nicola Feuerhahn

Auch aus dem alten Griechenland stammen viele der Denkkonzepte, denen sich Nicola Feuerhahns Arbeiten widmen. Ihr besonderes Augenmerk gilt häufig dem romantischen Eros und den diesen Komplex umgebenden Ritualen und Gedankenkonstrukten.
Feuerhahns vornehmlich bildhauerische Arbeiten aus Glas, Kunststoff und Keramik, kleine, bewusst an den Kitsch angrenzende Skulpturen, wirken verletzlich und nackt. In der Malerkapelle ist es eben diese Verletzlichkeit, mit der sie sich beschäftigt: Welche Transformationsprozesse durchlaufen wir nach einer emotionalen Verletzung, nach einem Verlust, einem Bruch, einer Kränkung des Eros, welche Rolle spielt Authentizität bei dieser Auseinandersetzung mit dem verwundeten Selbst?

Bild: Nicola Feuerhahn

Feuerhahn und Leinweber haben beide ein Studium der Freien Kunst an der HBK Braunschweig absolviert. Ihre sonst sehr unterschiedlichen Herangehensweisen überschneiden sich thematisch: Die Sichtbarmachung des Flüchtigen, kaum Wahrnehmbaren, Unsichtbaren und Vielleicht-Nie-Dagewesenen nimmt eine zentrale Rolle in ihren Arbeitsprozessen ein.

Vernissage: Freitag, 3. Mai, 17 Uhr
Öffnungszeiten: Sa + So, 15-18 Uhr und nach Vereinbarung


14. - 29.10.2023

Förderkreis Malerkapelle: Happy?

Vernissage: Freitag, 13. Oktober 2023, 17 Uhr
Ort: Malerkapelle am Elm, Samuel-Hahnemannstraße 5, 38154 Königslutter
Öffnungszeiten: Sa & So, 15-18 Uhr


Am Freitag, den 13.10.2023 um 17 Uhr, eröffnen wir unsere letzte Ausstellung für dieses Jahr: "Happy?", unsere Mitgliederausstellung mit Arbeiten von Gabriele Sprenger, Katrin Schmidt, Oona Scheepers, Christine M. Kaiser, Barbara Potas, und Hendrik, Lino & Luitgard Heissenberg.
"Happy?" präsentiert ein breites Spektrum an Arbeiten: Katrin Schmidt erstellt eigens für die Ausstellung eine große, abstrakte Wandmalerei. Gabriele Sprenger zeigt ihre filigranen "Baumgesichter", fein gezeichnet mit Bleistift und Ölkreiden. Hendrik & Lino Heissenberg präsentieren neue filmische Arbeiten, die mal wortlos, mal essayistisch kleinbürgerliche Identitätskrisen dekonstruieren. Christine M. Kaiser stellt Objektkunst aus, Barbara Potas präsentiert figürliche Skulpturen, vornehmlich weibliche Akte. Oona Scheepers stellt gegenständliche, farbenfrohe Zeichnungen und Malereien von Tieren und Landschaften aus. Luitgard Heissenberg zeigt zwei neue Fotoserien, "Die neue Steinzeit" und "Die vier Jahreszeiten", die sich kritisch mit zeitgenössischer Gartenarchitektur auseinandersetzen. Wer die Bilder in die richtige Reihenfolge bringt, gewinnt dafür eine Samenbombe!

Mit "Happy?" verabschieden wir uns nicht nur in den Winter, sondern wir sagen auch Goodbye zur Malerkapelle in ihrem jetzigen Zustand - ab nächstem Jahr wird renoviert! Dass es soweit kommen konnte, liegt besonders am Engagement der Mitglieder, dem Interesse der Königslutteraner*innen und Besucher*innen von außerhalb - u.a. viele Braunschweiger*innen und Hannoveraner*innen haben den Weg zu uns gefunden -, und an den schönen, schrägen, speziellen Ausstellungen, die seit zwei Jahren unserer lieben alten Friedhofskapelle wieder neues Leben eingehaucht haben. Dafür möchten wir uns ganz herzlich bedanken.

Die Ausstellung ist geöffnet vom 14. bis 29. Oktober, jeweils Samstag und Sonntag von 15-18 Uhr. Am Sonntag, den 29. Oktober, ist Finissage von 15-18 Uhr mit Tee, Kaffee, Kuchen, und Kunstmarkt! Sowohl einige ausgestellte Werke als auch extra von den Künstler*innen mitgebrachte kleine Arbeiten können dort für wenig Geld erstanden werden.


16. - 30.09.2023

Jie Jie Ng & Neha Thakar: Noch eine Eröffnung

Bilder: Thakar, Ng

Vernissage: Sonntag, der 10. September 2023, 15 Uhr
Ort: Malerkapelle am Elm, Samuel-Hahnemannstraße 5, 38154 Königslutter
Öffnungszeiten: Sa & So, 15-18 Uhr
Zine: Here!

„Noch eine Eröffnung“ in der Malerkapelle: Am Sonntag, den 10. September um 15 Uhr eröffnen Jie Jie Ng und Neha Thakar.

Jie Jie Ngs neue Videoarbeit befasst sich mit unserer Beeinflussung durch all die virtuellen Realitäten, die sich um uns herum manifestiert haben. Social Media ist ein Chor mannigfaltiger Stimmen, die allesamt nach unserer Aufmerksamkeit heischen, sodass es uns mitunter schwerfällt, undere eigene innere Stimme zu hören, für die wir Stille benötigen. Die Arbeit untersucht die verschwommenen Grenzen zwischen den Realitäten in unserem Bewusstsein; mächtige Strukturen, die uns manchmal kontrollieren und auch in vermeintlich technologiefreie Räume und Ebenen verfolgen.
Ng wurde in Singapur geboren und hat an der HBK Braunschweig und der University of Michigan Ann Arbor studiert. 2016 wurde sie mit dem Meisterschüler*innen-Preis der Hochschule ausgezeichnet. Ihre Videoarbeiten wurden unter anderem beim Ann Arbor Film Festival, dem DOK Leipzig, dem Kasseler Dokfest und im Kunstverein Wolfsburg präsentiert. Daneben ist sie auch aktive Musikerin, was ebenso ihre künstlerische Arbeit inspiriert.
Neha Thakar kommt aus Gujarat in Westindien. Prozesse und Verschiebungen innerhalb globaler Kontexte stehen im Fokus ihrer Arbeiten ebenso wie die Neubearbeitung und -evaluierung von Traditionen und Mythen, spezifisch solchen, die sich mit dem Thema Wasser auseinandersetzen. Während ihrer intensiven künstlerischen Recherche untersucht sie durch dieses Element, längst ihr Medium geworden, geopolitische Zusammenhänge im Hinblick auf Gesellschaft, Migration und Identität. Darüber hinaus fasziniert sie das Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzuständen als Metapher für Transformation. In der Malerkapelle wird sie die Arbeiten „Matsya“ und „Another door“ zeigen. „Matsya“ beschäftigt sich mit den Dashavatara, den zehn Avatara des Hindu-Gottes Vishnu, und dem damit verbundenen Akt des Erschaffens und Improvisierens. „Another door“ wird eine ortsspezifische Installation, die sich mit religiöser Architektur als Träger von Hoffnung auseinandersetzt, hier mit besonderem Blick auf Migranten in Deutschland.


12. - 27.08.2023

Heekeun Kim & Esra Oezen: Re:Join

Bilder: Kim, Oezen

Vernissage: Freitag, der 11. August 2023, 17 Uhr
Ort: Malerkapelle am Elm, Samuel-Hahnemannstraße 5, 38154 Königslutter
Öffnungszeiten: Sa & So, 13-18 Uhr
Zine: Hier!

Die dritte Ausstellung in der Malerkapelle im Jahr 2023 präsentiert die Arbeiten von Heekeun Kim und Esra Oezen, die erstmalig gemeinsam 2022 in der halle 267 - städtische galerie braunschweig ausgestellt haben und nun wieder zusammenarbeiten.

Kims Arbeiten sind grundsätzlich ortsspezifisch und nur leiblich erfahrbar: Man muss in ihnen sitzen, sie betreten, oder umgehen – sie anzuschauen reicht selten aus, um ihrer Dimension und Wirkung gewahr zu werden. Das Publikum wird aktiv in die neu geschaffenen oder umgebauten temporären Orte integriert, was ihnen eine soziale Funktion verleiht, die in der Gemeinschaft herausgearbeitet werden muss; dies geschieht weniger durch Worte und Erklärungen als vielmehr durch Gesten, Blicke, Bewegungen, durch Nachahmung und Reaktion.
Ausgangspunkt von Kims Installationen und performativen Aktionen ist häufig die Lücke: die Frage danach, was an einem Ort fehlt.

Oezens Arbeiten hingegen sind mobiler und wirken durch ihre zurückhaltende Ästhetik zunächst deutlich weniger monumental, doch das Gegenteil ist der Fall: In den (fast) weißen Seiten ihrer Künstlerbücher, auf den (fast) leeren Bildschirmen ihrer Videoinstallationen manifestieren sich Fragen und Auseinandersetzungen mit Themen, die für die Kunst im Speziellen und unseren Umgang mit Bildwelten im Allgemeinen fundamental sind: Wie stellt man etwas Nicht-Vorhandenes, Nicht-Geschehenes dar? Wie macht man Abwesenheit erfahrbar? Ist Wiederholung überhaupt möglich – und im Gegenzug: Gibt es überhaupt etwas Einzigartiges? Gerade die zunächst verhalten erscheinende Reduktion auf das Wesentliche verleiht Oezens Arbeiten eine diffuse Allgemeingültigkeit, ohne dabei einen platten Statement-Charakter anzunehmen.

In „Re:Join“ erforschen die beiden Künstlerinnen die Idee, Vergangenheit und Gegenwart oder getrennte Elemente wieder zusammenkommen oder sich verbinden zu lassen. Die Ausstellung befasst sich mit der Rekombination von Information, um neue Bedeutungen zu schaffen und die Interaktion zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu ermöglichen.


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